Eisbrecher Wilgum auf Mittellandkanal – Fotos von Februar 2012

Eisbrecher-Veteran Wilgum auf dem Mittellandkanal 2012 im Einsatz – Fotos: Namira McLeod

Rund 63 Jahre immer eine Handvoll Wasser unterm Kiel: Die WILGUM aus Elsfleth ist als Eisbrecher aus der Schifffahrtshistorie nicht mehr wegzudenken und hat wie sein „Schlepper-Vater“ eine interessante Geschichte aufzuweisen. In diesem Artikel zeige ich 60 Archivfotos vom 19. Februar 2012, schildere mein Erlebnis und trage Informationen zusammen.

Vor fast genau neun Jahren stand ich fasziniert am Ufer des Mittellandkanals auf der Höhe des Rusbender Hafens, um die treibenden Eisschollen zu beobachten. Rusbend ist ein Ortsteil der Stadt Bückeburg in Schaumburg, Niedersachsen. Schnee lag zu der Zeit nicht am Boden, aber es war eiskalt, weshalb ich nicht lange bleiben wollte. Doch plötzlich war ein lautes Knacken zu hören und ein Schiff tauchte aus der Ferne auf.

Wie konnte das sein? Der Mittellandkanal war bei etwa Minus 10 Grad Außentemperatur für die Schifffahrt gesperrt worden. Die Kältewelle in Europa, beginnend in der dritten Januarwoche, sorgte 2012 genau wie im aktuellen „Eiswinter 2021“ für langanhaltende tiefe Fröste (Quelle: Wikipedia). Zur damaligen Wetterlage siehe auch Wetteronline.de/wetterrueckblick.

Zu meinem Erstaunen entpuppte sich das Schiff als Eisbrecher. Das hatte ich vorher noch nie gesehen, schon gar nicht im Einsatz. Der damals in den Farben Schwarz, Grün, Weiß und vor allem Orange gehaltene Schlepper war rein optisch gesehen schon eine Augenweide – dazu ganz schön schnell unterwegs. Was ein Glück, dass ich meine Kamera (seinerzeit die CANON EOS 1000D) wegen der Eisschollen noch bereithielt. Ich drückte einfach unentwegt auf den Auslöser und heraus kam die unten zu sehende Bilderstrecke.

Dass dieses Schiff eine kleine Berühmtheit in der Schifffahrtszene ist, erfuhr ich erst bei meiner Internetrecherche. Beispielsweise hat einer rund zwei Wochen vor meinem Erlebnis die Wilgum gefilmt (siehe YouTube-Video), in einem Binnerschifferforum findet man diverse Kommentare mit technischen Daten und Fotos, und bis 2018 erschienen immer wieder Berichte in den örtlichen Medien.

Bei der WILGUM mit der Schiffsnummer 0540 1600, die von der „Heinz Schumacher Schleppschiffahrt“ vermutlich 2008/2009 (siehe Handelsregisterauszug) an die „Shiptec Industrial & Shipyard Technologies GmbH“ in Elsfleth, Niedersachsen, verkauft wurde und seitdem zur Flotte gehört(e), handelt es sich um einen Schlepper, der auch als Eisbrecher eingesetzt werden kann – ausgestattet mit einem patentierten Schlickpflug, ein Spezialgerät, das dem Einebnen von Unterwasserstrukturen dient. Die Wilgum misst eine Länge von 21,15 Metern und eine Breite von 6,05 Metern, hat 2,20 Meter Tiefgang (laut meinen Fotos) und verstecke 466 PS unter der Haube. 1957 in der Jadewerft in Wilhelmshaven gebaut, fand das Schiff über viele Jahrzehnte in der Elsflether Werft seinen Liegeplatz und war seitdem unermüdlich im Einsatz – auf dem Mittellandkanal, der Weser, der Hunte und darüber hinaus.

Bis es einen herben Rückschlag erlitt: Am 4. März 2018 schlug die Wilgum leck auf dem Mittellandkanal in Hannover auf Höhe der Anderter Schleuse. Wasser war in den Maschinenraum eingedrungen, der Kapitän konnte gerade noch den Notruf absetzen und das Schiff am Kai festmachen (lt. Meldungen esys und NonstopNews). Seitdem finde ich keine Einsatzberichte mehr. Und Positionsdaten auf MarineTraffic.com und deren Echtzeitkarte verraten: Aktuell liegt die Wilgum am Jachthafen Ridderkerk bei Rotterdam in den Niederlanden – und das scheinbar seit dem 20. Juli 2020 – in schwarz-weißer Lackierung. Offensichtlich gehört die WILGUM der Vergangenheit an.

Über den ehemaligen Kapitän und Schiffseigner Heinz Schumacher, Jahrgang 1935, findet sich noch ein sehr schöner Bericht auf NWZ Online vom 9. März 2019. Vom Dampfschlepper seines Großvaters zum Matrosen bis hin zum Kapitän auf verschiedenen Schleppern sei er 60 Jahre lang immer für die Elsflether Werft präsent gewesen und habe seine Schiffe stets gehegt und gepflegt. Das ging nicht spurlos an ihm vorbei und er setzte sich auch mit 83 Jahren noch für den Erhalt der traditionsreichen Werft an der Hunte ein.

Doch das „Millionengrab Gorch Fock“ (die Werft wurde 2016 mit der Generalüberholung des 1958 in Dienst gestellten Segelschiffs der Deutschen Marine beauftragt) wurde der Elsflether Werft AG, gegründet am 2. Oktober 1916, zum Verhängnis. Am 20. Februar 2019 musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. 103 Jahre nach der Gründung (Oktober 2019) wurde es von der Lürssen-Werft aufgekauft, die im April 2020 verkündete, die Elsflether Werft noch im selben Jahr schließen zu wollen. Die Elsflether Werft AG wurde zwischenzeitlich aufgelöst und der Pachtvertrag für das Gelände von der Lürssen-Werft zum 31. Dezember 2020 gekündigt. Seitdem steht das Werftsgelände offensichtlich zum Verkauf. (Quellen: NWZ Online und Wikipedia)

Die „Gorch Fock“ soll hingegen noch in diesem Jahr in See stechen – frisch saniert von der Bremer Lürssen-Werft. Die Fertigstellung sei für den 31. Mai und die erste Ausbildungsreise der Kadetten für Juli 2021 von Kiel aus geplant, berichtet WirtschaftsWoche. 135 Millionen Euro soll die Sanierung den Steuerzahlern dann gekostet haben. Ich finde:

Man gut, dass „Schlepper-Vater“ Heinz Schumacher das Desaster nicht mehr miterleben muss und seine WILGUM aus Elsfleth in Rotterdam ruht.

So bleiben für das einstige „Schifffahrts-Duo“ jahrzehntelange schöne Erinnerungen. Und in weiser Voraussicht auf den Valentinstag wird mir beim Anblick des historischen „Eisbrechers“ ganz warm ums Herz. Vielleicht ergeht es Ihnen ja genauso.

(TIPP: Öffnen Sie das erste Bild und starten Sie die Fotostrecke mit dem Pfeilsymbol, dann laufen die Bilder automatisch ab)

Alle Angaben im Text sind ohne Gewähr bezüglich Richtigkeit, Aktualität und Vollständigkeit.

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