
Die Pforte ist geschlossen, die Türen sind versiegelt. Auf Anordnung des Kreises Minden-Lübbecke wurde das Freudenhaus in dem historischen Gebäude „Kurfürst“ in Porta Westfalica zum 18. Dezember 2020 aufgrund der Coronaschutzverordnung endgültig dicht gemacht. Bevor Brände, Abrissarbeiten oder sonstige Umstände das architektonisch wertvolle Baudenkmal eventuell zunichte machen, halte ich an dieser Stelle den intakten Zustand fest mit Archivaufnahmen aus den Jahren 2012, 2014, 2017 und 2021.
Er hat zwei Weltkriege überstanden und trotzt seit über 120 Jahren Wind und Wetter: „der Kurfürst“, wie er von Interessierten in den 1970er Jahren genannt wurde – ein dreigeschössiger, stark gegliederter Massivbau auf vorgeblendetem Bruchsteinsockel mit großem Risalit und Zwerchhaus, Giebel und Treppenturm, der im 20. Jahrhundert zur Weserseite hin mit moderneren Fassadenelementen aufgestockt wurde. Benannt nach Friedrich Wilhelm (1620-1688), der 1675 den Beinamen „der Große Kurfürst“ erhielt, wurde das geschichtsträchtige Gebäude unter der Anschrift An der Pforte 1 im Portaner Ortsteil Lerbeck einst als prunkvolles Hotel an der Weser errichtet.
Ursprünglich auf den Namen „Hotel Großer Kurfürst“ getauft und anfangs als dieses betrieben, existiert das prachtvolle Gebäude seit mindestens 1898, als der Tourismus in der Region boomte, wie zahlreiche Ansichtspostkarten aus der Zeit belegen. Eng mit der Stadt Minden verbunden (in preußischer Zeit war die Stadt Verwaltungssitz des Fürstentums Minden), erinnert bis heute eine Statue Friedrich Wilhelms südlich des Wesertors an die Angliederung des Hochstifts Minden an Brandenburg-Preußen im Rahmen des „Westfälischen Friedens“. Der Kurfürst war damals maßgeblich am Friedensschluss beteiligt.
Aber das große villenartige Gebäude verband zu späterer Zeit noch ganz andere Interessen. Minden wurde 1945 Standort der Britischen Rheinarmee, die alte Kasernen im Stadtgebiet und die neue Kingsley-Kaserne im Ortsteil Minderheide bezog und bis Anfang der 1990er Jahre in Minden blieb. Die letzten rund 3500 britischen Soldaten mussten 2014 Minden verlassen und zurück auf ihre Insel. Damit ergaben sich in Minden nicht nur Einnahmeeinbrüche im Einzelhandel, sondern auch in den Prostitutionsstätten. Die „Liebesdamen“ verloren ihre zahlungskräftigen britischen Stammkunden.
Darüber hinaus wurde 2010 die „Vergnügungssteuer“ eingeführt und zum 1. Juli 2017 das Prostituiertenschutzgesetz, das bürokratische Hürden mit sich brachte. So musste im Frühjahr 2018 zuerst das „Rampenloch“ in Minden schließen, dann bekam der nicht weit entfernte „SG Club“ (seit 1985) in Porta Westfalica Probleme – das wahrscheinlich letzte Bordell im Haus Kurfürst.
Jeder, der ab 1968 nachts vorbeifuhr und die rot leuchtenden Fenster sah, wusste Bescheid, was Sache ist. In den Jahren 2012 bis 2014 (und vermutlich in den Jahren davor) wurde sogar die komplette Fassade in den Farben Rot, Lila und Rosé beleuchtet, sobald die Sonne unterging.

Doch mehrere Anläufe der Betreiber, den Betrieb wieder in Fahrt zu bringen (z.B. durch Umbenennung in „Laufhaus Minden“) nutzten nichts. Und nun macht das Coronavirus die Welt unsicher. Alle Rotlicht-Betriebe müssen seit Juni 2020 aus Hygieneschutzgründen geschlossen bleiben. Die Stadt Porta Westfalica nutzte die „Gunst der Stunde“ (der Betrieb ist mindestens seit Ausbau des gegenüberliegenden touristischen Highlights Kaiser-Wilhelm-Denkmal dem Kreis ein Dorn im Auge), zog die Ordnungsverfügung des Kreises Minden-Lübbecke vom 21. Juni 2018 aus der Schublade und klebte den „Kuckuck“ drauf. Fortan steht der Weiterbetrieb des Freudenhauses „Kurfürst“ unter Strafe.
Ob, wann und wie das Haus Kurfürst mit seinen etwa 40 Innenräumen weitergenutzt werden kann, steht offenbar noch nicht in Rede. Hinzu kommt, dass nach einem Beschluss des Ausschusses für Kulturarbeit und Soziales vom 20. November 1984 nur die östliche Seite des Gebäudes unter Denkmalschutz gestellt wurde – die mit „zur Bahn hin gelegen“ beschrieben wird. Hier ist unklar, um welche Fassade es sich handelt: die zu den Bahnschienen und zur Weser hin gelegene (wie auf meinen Beitragsbildern zu sehen) oder der zum Bahnhofsgebäude gelegene Flügel. Wobei 1984 vermutlich noch eine Straßenbahn vor der attraktiven Frontseite mit der Aufschrift „Kurfürst“ fuhr, die zur B482 Hausberger Straße hin gelegene. Denn auf meinen Archivfotos von 2014 (siehe Bildergalerie unten) sind dort noch Oberleitungen zu erkennen. Ist mit „Bahn“ die Straßenbahn gemeint, würde sich der Denkmalschutz auf eben diese Frontfassade beziehen.
Was sinnig wäre. Denn die in großen Teilen hellblau gestrichene Fassade umfasst auch den Haupteingang mit schweren Holztüren, umrahmt von reich verzierten Säulen. Zudem schaut eine weiße, leicht bekleidete Dame aus Stein, auf dem Ast eines Baumes sitzend, mit Blumen im Arm, auf den Eingang hernieder: Aphrodite – die griechische Göttin der Blumen, Bäume und Früchte, aber auch der Liebe, Schönheit und sinnlichen Begierde, die sowohl den Fortbestand der Natur als auch die Kontinuität der menschlichen Gemeinschaften gewährleistete.
Wer kann zu dieser Dame schon Nein sagen, wenn es um Denkmalschutz geht? Die historische Architektur-Schönheit mit dem kurfürstlichen Namen sollte meines Erachtens in ihrer Gesamtheit unbedingt erhalten bleiben. Freudenhaus hin oder her. Sie fügt sich vom Bild her nahtlos in die Umgebung ein, ist von jeher ein Hingucker bei Ausflugsschifffahrten auf der Weser und wird auch nach dem „wilden Treiben“ immer einen Grund zum Schmunzeln bieten. Geschichte sei Dank.
Jetzt aber zu meiner Bildergalerie mit 52 ausgewählten Fotografien aus den Jahren 2012, 2014, 2017 und vom 21. Februar 2021:
Textquellen: Wikipedia, Focus Online Bericht vom 09.09.2015, Bericht OctoberNews von 2017
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